kafi mit khalid

ich sehe den blausten aller himmel. ich sehe die vögel, die in schwärmen über meinen kopf fliegen und fühle die grösste freiheit, die ich mir denken kann.

mein name ist khalid ahmed.

ich weiss nicht wann ich geboren bin. denn bei meiner geburt, hat der mann vom meldeamt keine zeit. er wandert ausschliesslich zweimal im jahr in die dörfer- am 1.januar oder 1.juli und notiert sich die namen von den neuen kindern. in deinem kurdischen pass steht also entweder 1.januar oder 1.juli.

es soll juli sein. juli, als ich meine augen zum ersten mal öffne – und ich sehe: den krieg. ich bin geboren im krieg. in kurdistan. ein land, das es eigentlich nicht gibt. ein land, das andere sich wegwünschen. das andere irak, syrien, türkei oder iran nennen, je nachdem an welchem rockzipfel des landes du hängst.

mir ist egal wie das land heisst, ich wünsche mich in die hügel! denn ich bin hirte! ich bin sieben jahre alt und …stolzer vater von einer herde kleiner ziegen. meine tiere und ich, wir laufen unter dem blausten aller himmel, und hinter mir her meine geschwister, in unseren köpfen wilde geschichten, lustige spiele.
ich habe rein theoretisch 14 geschwister, aber eigentlich sind wir im dorf alle verbrüdert. jeder ist mit jedem verwandt- wir heiraten uns gegenseitig- wir, die 70 familien im dorf.

als ich 16 jahre alt bin, stirbt meine mutter, bei einem überfall-kommando unterwegs im auto. mein vater heiratet später eine andere frau- und meine lieblingsfrau wird meine grossmutter.

ich habe viele bilder, wenn ich an meine kindheit in kurdistan denke. wir haben lieder gesungen in der schule. dostaka. es ist ein liebeslied, ein volkslied:
dostaka dostaka mechmani dostaka
staub, staub an meinen füssen.
geh zum bach
staune darüber.

ich fühle mich, als könnte ich fliegen – mit den vögeln.
ich staune jeden tag mit dem kopf gegen den himmel. es ist meine ganz grosse zeit, die sorglose zeit als hirte, mit den geschwistern. durch die rauschenden wiesen. und wir müde sind vom gehen, setzen wir uns hin und starren auf die neue autobahn. was sitzen wir stundenlang da und beobachten die autos- es sind so wenige- aber die, die sich hierher verirren..glitzern wunderschön in der sonne.

ich sitze da, die wolken und vögel fliegen über unsere köpfe hinweg. und irgendwann tauchen sie auf. dunkle schwärme. schwärme von dröhnenden hubschraubern. bomben, die auf uns regnen.

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zum glück schützt uns das haus, das mein vater eigenhändig baut – schliesslich der beste maurer weit und breit. auf diesen beiden stockwerken ist das ganze leben verteilt: unten die tiere. oben die familie. wir verlieren uns in schlaflosen nächten, weil wir nicht aufhören können zu lachen und zu reden unter der decke. mein kleinster bruder schlägt mich sogar fein ins gesicht, wenn ich einschlafe…nur um ihm eine geschichte zu erzählen. und noch eine, und noch eine.

ich bin glücklich. bis ich 15 jahre alt bin.
dann entscheide ich, mich zu wehren. ich werde anarchist gegen die unterdrückung.
zuerst gegen die unterdrückung meines vaters.
ich kann viele seiner traditionellen ansichten nicht akzeptieren, und will ihn eines tages verlassen. ich laufe in die berge, ich laufe weit hinein, in die nacht. es ist eine sehr dunkle nacht…bis ich sie höre- meine grossmutter! sie ruft in die nacht, in die berge: khalid, khalid.
ach.
ich habe den entscheid getroffen, die ganze nacht hier zu bleiben, hier in den kalten bergen. aber als ich sie höre, laufe ich zurück. hab angst.
ich laufe durch die dunkelheit in die moschee, wo ich mich auf der toilette verstecke- nur hier kann ich alleine sein.
die grossmutter kehrt hoffnungslos nach hause zurück. dort wo alles schläft, ausser sie.
als ich heimkehre, flüstere ihr ins ohr: grossmutter, ich bin da bei dir.

die fiebrige, kindliche rebellion gegen die familie. da flammt es auf, das erste gefühl gegen ungerechtigkeit. später wurde daraus ein kampf gegen die ungerechte unterdrückung der kurdischen leute im irak, syrien, türkei, iran. die unterdrückung,  dass wir unsere eigene sprache- kurdisch – in gewissen teilen nicht sprechen dürfen (bis heute), keine kurdische kultur leben, keinen kurdischen namen tragen. du bekommst, wenn du pech hast, nicht mal einen ausweis, darfst nicht in die schule.IMG_7985

GERECHTIGKEIT?
REVOLUTION! rufe ich. und meine freunde, mein volk mit mir. ich geselle mich zu linken gruppierungen, die sich wehren gegen das regime.
ich bin jung. aber ich will mich wehren.
jeden morgen um 8 uhr höre ich die rotoren der hubschrauber. und die bomben.
das regime bombardiert wahlllos dörfer, weil sie glauben, dass sich dort rebellen verstecken; das tun sie selbstversändlich. ich schlafe, und esse neben ihnen. unter einer decke. wir sprechen viel, wir sprechen die gemeinsame sprache- die von der freiheit.

so werde ich selbst ein rebell. ich ziehe in die stadt, und werde mitglied der sozialistischen partei. helfe mit, wo es zu helfen gibt: flyer gegen das irakische regime mit dem gesicht saddam husseins verteilen, ich helfe die informationen der rebellen weiterzuleiten, über die züge der truppen, medikamente zu transportieren.

auch wir bewaffnen uns – zum schutz. nie im leben aber würde ich auf einen menschen schiessen- das ist auch nicht nötig. wenn wir, als überlegene, auf einzelne soldaten treffen, legen sie ihre waffe wortlos nieder. sie ergeben sich, und können danach mit uns essen. sogar mit in unser dorf kommen.

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die erinnerung an den frieden, sie liegt weit und blass zurück. ich spüre ihn in den kinderschuhen, meinen moment. er mag für andere klein sein, für mich ist er ganz gross. der moment des friedens, wenn ich mit den ziegen in den hügeln bin und unter dem blauen himmel laufe.
frieden, wie ihr ihn versteht, diesen frieden gab es in meinem leben nie.

1991 lässt der irakische diktator sadamm hussein unseren volksaufstand niederschlagen. wir müssen fliehen. 80 prozent, mehr als 3 millionen menschen, verlassen ihre heimat – zu fuss. viele leute sterben. unser dorf- wo wir unter der decke nächtelang geschichten und lautes lachen aufflackern lassen – unser dorf wird leer. und still.

die familie geht zuerst, läuft uns voraus. wir männer versuchen die stellung so lange zu halten wie möglich; wir wollen uns wehren und irgendwann: einsehen, dass wir dies nicht überleben werden.

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so geben wir im letzten moment auf, und ziehen weg, über die felder, weit weg von zu hause.
vor meinen augen explodiert eine mine, sie liegt begraben, direkt unter den füssen meines vaters. er überlebt, behindert.
ich laufe. ich laufe. ich laufe.

ich laufe an so vielen toten menschen vorbei. und ich schaue jedem in die augen. jeden sehe ich an und bete, dass es niemand aus meiner familie ist. meine familie – hast du diesen weg überlebt? den weg in die freiheit?

und dann regnet es angst. ja- die angst regnet auf dich herab. wenn krieg ist, regnet es angst. und bomben. was wächst daraus?

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knaben-morgen-blüten-träume. ich bin schon fast zwanzig.
ich bin khalid. im juli geboren.
von einem normalen leben träume ich nicht, wenn ich ehrlich bin. in so einer situation träumst du einzig von gerechtigkeit.
arzt! architekt! was haben sie mir nicht alle gesagt und prophezeit, was ich sein könnte oder müsste, im dorf. ich bin ein guter schüler. einer der besten, mit guten noten. einer glücklichen stimme beim morgenlied.
aber seit ich die augen offen habe, sehe ich ungerechtigkeit.
ich habe keine zeit um zu träumen.
muss kämpfen gegen die ungerechtigkeit, die wie ein schatten überall seine kreise zieht. sie beginnt bei dir.  in der familie. – ich spüre sie gegen meine zwei kleinen schwestern. sie werden anders, ungerecht behandelt, in dieser konservativen gesellschaft, schlicht deshalb weil sie keine männer sind. dagegen wehre ich mich, ich sehe keinen unterschied! dann mäandert die ungerechtigkeit weiter, von deiner familie rüber zur dorf-gemeinschaft. wo man sich als nachbarn dinge verspricht, die man dann nicht hält. und dann gipfelt die ungerechtigkeit im staat kurdistan, wo unsere ganze gemeinschaft vertrieben, ausgerottet werden soll.

oh grossmutter. oh vater.

oh wie er mich liebt, mein vater. aber er hat keine zeit, uns liebe zu geben. es ist krieg, es fliegen bomben, keine vögel. es gibt keine zeit für liebe.

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weiterkämpfen. ich kämpfe weiter. bleibe mitglied bei sozialen organisationen,  und zahle dafür einen preis. denn für mein politisches engagement, für meinen kampf gegen die unterdrückung werde ich verfolgt, bedroht. ich denke, wenn ich hier bleibe, werde ich jung sterben.

es ist die teure hilfe von schleppern, die ich annehmen muss. 4 mal. 4 mal versuche ich, nach europa zu kommen. um zu studieren, um eine zukunft zu haben. um ein leben zu haben. um ein leben zu beginnen. 4 mal werde ich abgeschoben und zurückgeschickt. beim 5.ten mal- grüezi! – erreichte ich die schweiz.

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4.januar 2008, polizeistation in genf: eine bleiche hand reicht mir ein zugticket und eine landkarte, mit einem grossen kreis um ein langes wort. vallorbe?
vallorbe, mein neues zuhause. das asylzentrum, in der nähe von genf und lausanne. ich fahre los,  im zug durch das schöne fremde land. ich weiss gar nicht, ob ich träume. ist es realität? hier bin ich frei: frei – weisch was das heisst?- frei sein heisst, denken und sprechen zu können. meine 1.begegnung mit freiheit- ich habe den krieg hinter mir gelassen. und stehe im asylzentrum, wo man mir ein formular gibt. personaliäten. khalid. geburtsdatum irgendwann juli – ha wenn die wüssten, dass der geburtsschreiber nur zweimal im jahr durchwandert,
lieblingshimmelfarbe blau. lieblingsfrau grossmutter…
ein einziges feld lasse ich offen. religion? die frau fragte mich: „wieso schribet sie da nöd muslim here?“
ja, auf meinem irakischen ausweis steht, ich sei muslim. ich schreibe hin: atheist. ich glaube einzig an die gerechtigkeit.
ich träume von einer guten welt, von einem himmel, mit vielen vögeln.

diesen text habe ich geschrieben nach einem langen, dreistündigen kaffee mit khalid ahmed. 
khalid arbeitet bei theaterprojekten mit, nimmt an lesungen mit kurdischen gedichten teil, arbeitet im service in einem zürcher cafe. er lebt seit 6.5 jahren in der schweiz, hat das ausländer-aufenthaltsrecht erhalten. er bedankte sich, dass ich ihm zugehört hatte, so lange hätte dies noch kaum jemand, der ihn nicht kenne, getan. 

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